Es gibt noch Luft nach oben
Radlerstammtisch zieht Bilanz zum Radverkehr nach der Hälfte der Legislaturperiode der Ampelkoalition in Hamm
Die Ampelkoalition in Hamm mit ambitionierten Zielen angetreten. “Wir wollen den klimafreundlichen Verkehr innerhalb der nächsten fünf Jahre auf mindestens 50% des Anteils am Gesamtverkehr steigern", heißt es im Koalitionsvertrag. Konkret zum Radverkehr steht im Koalitionsvertrag:
Wir wollen, dass Radfahren in Hamm die bessere Alternative für den Weg zur Arbeit, für den Schulweg und in der Freizeit ist. Dafür müssen wir in Hamm deutlich besser werden, was den Zustand der Radwege, die Erreichbarkeit der Stadtbezirke und die Sicherheit angeht. Unser mittelfristiges Ziel ist ein kreuzungsfreier Radweg in die Innenstadt – aus jedem Bezirk aus. Der Radschnellweg Ruhr erhält mit uns endlich Priorität.
Wir werden geschützte Fahrradstreifen (Protected Bike Lanes) an Hauptverkehrsachsen einrichten und mit mehr farblicher Markierung, gut ausgebauten und beleuchteten Fahrradwegen, mehr Fahrradstraßen, mehr Abstellmöglichkeiten für Fahrräder und Lastenräder, Fahrradparkhäuser, der Nutzung von digitalen Ampelsystemen zum Vorrang (grüne Welle) für den Fahrradverkehr und weiteren Maßnahmen das Fahrradfahren in unserer Stadt deutlich angenehmer, schneller und sicherer machen. Mit einem durchgängigen Radwegesanierungsprogramm halten wir bestehende Wege instand.
aus: Aufbruch - Jetzt das Morgen gestalten, Koalitionsvertrag 2020 - 2025
Nach zweieinhalb Jahren hat der Radlerstammtisch auf seiner Sitzung im Oktober Bilanz gezogen, inwieweit die Ampelkoalition ihren Ansprüchen gerecht wird.
Radhauptrouten in die Stadtbezirke
Von kreuzungsfreien Radwegen hat man sich schnell verabschiedet, plötzlich hieß es barrierefreie Radwege, was immer auch Barrierefreiheit im Zusammenhang mit Radwegen bedeutet. Immerhin hat die Stadtverwaltung damit begonnen, die Fahrradpromenade und Hauptradrouten in die Stadtbezirke zu überplanen. Damit wurde das bereits 2020 unter Oberbürgermeister Hunsteger-Petermann beschlossene Radwegebauprogramm umgesetzt. Im Jahr 2021 wurden die Planungen für die Fahrradpromenade und die Radhauptrouten nach Werries, Uentrop und Braam-Ostwennemar beschlossen, 2022 folgten die Planungen für Rhynern und Westtünnen und im August 2023 für die Radhauptroute nach Pelkum. Die Planungen für Herringen, Bockum-Hövel und Heessen sollen noch in dieser Legislaturperiode folgen.
Für die Hauptrouten gibt es keinen definierten Ausbaustandard. Wünschenswert wäre ein Ausbau als Radvorrangroute, wie er von der FGSV (Forschungsgesellschaft für Straßen und Verkehrswesen) festgelegt wurde. Im Beschluss heißt es aber: “Eine Konkretisierung der in Hamm anzuwendenden Standards erfolgt im Rahmen der Maßnahmenvorschläge”. In den Maßnahmentabellen finden sich jedoch keine Angaben zu den verwendeten Standards. Konkrete Umsetzungen der Planungen gibt es bis auf wenige Teilstücke noch nicht. Es zeigt sich aber, dass fast überall kombinierte Rad-/Gehwege vorgesehen sind. Damit sind Konflikte zwischen den verschiedenen Verkehrsteilnehmern weiterhin vorprogrammiert, für eine Radhauptroute, auf der Pendler zügig zur Arbeit kommen wollen, ist dies nicht komfortabel - und auch nicht barrierefrei.
Umgesetzte Maßnahmen
Bei der Fahrradpromenade hat die Stadt den Radweg um Markierung und Hinweisschilder ergänzt, die Ampelphasen an der Sternstraße fahrradfreundlicher gestaltet, der Radweg an der Hafenstraße nördlich vom Alleecenter wurde asphaltiert und eine Lichtzeichenanlage von der Hafenstraße zum Richard-Matthei-Platz gebaut, die für den Radverkehr aber keine Vorteile bringt.
Im Rahmen der Hauptroute nach Werries wurde die Adenauerallee zwischen Fährstraße und Lippestraße asphaltiert, allerdings nur in einer Breite von 3 m als kombinierter Geh-/und Radweg, was gerade am Wochenende häufig zu Konflikten führt. Weiterhin wurde die Andenauerallee im Bereich Ahsedüker und im Bereich der Theodor-Heuss-Grundschule asphaltiert.
Auf der Radhauptroute nach Braam-Ostwennemar wurde die KI-Ampel Heßler Straße/Marker Allee installiert, für den Ausbau des Dunantweg Ausbaupläne vorgestellt und Bauarbeiten für 2023 angekündigt. Die Brücke “Die Dille” wird erneuert und der Mennenkamp saniert.
Bei der Radhauptroute nach Westtünnen wurde die Rottwiese (Fahrradstraße) bis zum Hundeplatz neu asphaltiert und weiter bis zur Werler Straße wurde die wassergebundene Decke erneuert, aber nicht asphaltiert.
Die Grünstraße als Teil der Radhauptroute nach Rhynern wurde als Fahrradstraße rot markiert, die Vorfahrt geändert und die Rampen abgeflacht. In einem Abschnitt beträgt die Breite der Fahrradstraße nur gut 2 m, da man nicht bereit war, in diesem Abschnitt die Parkplätze zu entfernen. Dies entspricht nicht den Anforderungen an eine Fahrradstraße, zumal die Grünstraße für den Kfz-Verkehr freigegeben ist.
Betrachtet man das Gesamtvolumen der Arbeiten, so sind von den über 180 Einzelmaßnahmen bis heute erst etwa 10 % umgesetzt, die großen Ausbauprojekte fehlen noch. Bis 2030 sollen alle Hauptrouten vollständig ausgebaut sein. Mit den vorhandenen finanziellen und personellen Ressourcen erscheint es unwahrscheinlich, dass die verbleibenden Arbeiten innerhalb von sieben Jahren umgesetzt werden können.
Abbau von Umlaufsperren und Fahrradparken
Insgesamt hat die Stadt seit 2021 insgesamt 120 Umlaufsperren entfernt oder umgebaut. Dadurch konnte der Komfort für den Radverkehr erheblich verbessert werden.
Das Programm, 2000 Fahrradbügel pro Jahr im Stadtgebiet neu aufzustellen, hat die Parksituation für Fahrräder deutlich verbessert. Die Planung eines Fahrradparkhauses an der Stadthausstraße ist zu begrüßen.
Nach wie vor problematisch ist die Parksituation am Hauptbahnhof. Die sehr begrenzte Zahl der 24-Stunden-Parkplätze und die restriktiven Öffnungszeiten der Radstation stellen für Pendler eine erhebliche Einschränkung dar. Trotz neuer Fahrradbügel am Westausgang und am Willy-Brandt-Platz ist die Parksituation am Hauptbahnhof unbefriedigend.
Radschnellweg Ruhr
Der Radschnellweg Ruhr, der seit 2014 geplant wird, soll frühestens 2030 fertiggestellt werden.
Protected Bike Lanes
Es gibt einen Beschluss für die Einrichtung einer Protected Bike Lane in Herringen auf der Dortmunder Straße zwischen Schachtstraße und Torksfeld aus dem Juni 2021, dieser wurde aber bis heute nicht umgesetzt. Weitere Planungen zu Protected Bike Lane sind nicht bekannt.
Sicherheit und Komfort
Die Zahl der Unfälle mit Radfahrerbeteiligung ist im Jahr 2022 gegenüber dem Vorjahr stark angestiegen, nachdem sie während der Pandemie aufgrund des geringeren Pkw-Verkehrs zurückgegangen war. Im Jahr 2022 wurden wieder die Werte vor der Pandemie erreicht. Im Jahr 2022 gab es zwei tödlich verunglückte Radfahrende, im Jahr 2021 einen tödlich verunglückten Radfahrer, in den Jahren davor gab es lange Zeit keine tödlichen Unfälle mit Fahrrädern. Insbesondere die Zahl der verunglückten Rad fahrenden Kinder ist im Jahr 2022 stark angestiegen.
Ein großer Teil der Unfälle mit Fahrrädern findet im Kreuzungsbereich beim Abbiegen oder Queren statt bzw. bei Grundstücksausfahrten. Um die Aufmerksamkeit der Autofahrenden zu erhöhen, wurden an vielen Kreuzungen die Radverkehrsfurten rot markiert.
Eine weitere Erhöhung der Sicherheit ergibt sich durch getrennte Ampelphasen für den rechts- bzw. linksabbiegenden Kfz-Verkehr und die parallel fahrenden Radfahrer. Solche Ampelschaltungen sind in Hamm nicht bekannt.
Es gibt viele Möglichkeiten, den Komfort für den Radverkehr zu erhöhen. Eine wichtige Maßnahme ist die Verkürzung der Wartezeiten an Lichtsignalanlagen. Noch immer diskriminieren viele Lichtsignalanlagen den Rad- und Fußverkehr durch deutlich längere Wartezeiten als den Kfz-Verkehr. Die Wartezeiten an Lichtsignalanlagen mit Anforderungsschaltung könnten zum Teil deutlich verkürzt werden, außerdem sollte an vielen Lichtsignalanlagen die Fahrradampel bei jeder Durchfahrt auf Grün geschaltet werden. Dies wurde an der Kreuzung Werler Straße/Ostdorfstraße umgesetzt, aber leider auch nur dort.
Eine weitere Möglichkeit, den Komfort zu erhöhen, ist der Grünpfeil für Radfahrer. Obwohl dieses seit der Novellierung der StVO 2020 existierende Verkehrszeichen in den Nachbarstädten bereits eingesetzt wird, fehlt es in Hamm komplett.
Insofern sehen die Mitglieder des Radlerstammtisches beim Thema Sicherheit und Komfort noch viele Möglichkeiten, dem Anspruch des Koalitionsvertrages gerecht zu werden, das vorhandene Potenzial an Verbesserungsmöglichkeiten bleibt ungenutzt.
Radwegesanierungsprogramm
“Mit einem durchgängigen Radwegesanierungsprogramm halten wir bestehende Wege instand.” In den letzten zweieinhalb Jahren wurde die Oberfläche diverser Radwege erneuert. Eine substantielle Neugestaltung der Radwege hat dabei nicht stattgefunden, in der Ostwennemarstraße wurde der Radweg in einen kombinierten Geh-/Radweg umgewandelt. Auf der Marker Dorfstraße wurde der Schutzstreifen abgefräst.
Vorgestellt wurden die Umbaupläne zur Goethestraße, die auf zwei Fahrspuren reduziert und um Radwege erweitert werden soll. Die Umsetzung wurde für das 4. Quartal 2023 angekündigt.
Radverkehrsplanung - Fehlanzeige
Abgesehen von der Planung der Radhauptrouten gibt es in Hamm derzeit keine Radverkehrsplanung. Sanierungsmaßnahmen an Radwegen werden entweder auf Antrag der Bezirke oder bei unzumutbarem Zustand der Radwege von der Verwaltung veranlasst. Ansonsten erfolgt der Radwegebau nur im Zusammenhang mit größeren Straßensanierungsmaßnahmen und bleibt damit Stückwerk.
Geschlossene und komfortable Radnetze entstehen so nicht. Obwohl Hamm über viele Radwege verfügt, sind diese in einem desolaten Zustand. Kaum ein straßenbegleitender Radweg weist die für eine Benutzungspflicht erforderliche Mindestbreite von 1,5 Metern auf, schon gar nicht die Regelbreite von 2 Metern. Daher wurde 2014 die Benutzungspflicht der Radwege bei knapp 50 Straßen im gesamten Stadtgebiet aufgehoben, wo dies aus Gründen der Verkehrssicherheit möglich war. Für die verbleibenden Radwege schrieb die Verwaltung:
“Dort wo die Radwegbenutzungspflicht langfristig bleiben muss und die Radwege nicht die erforderliche Breite haben oder in baulich schlechtem Zustand sind, müssen sie mittelfristig im Rahmen der zur Verfügung stehenden Finanzmittel umgebaut und/oder verbreitert werden.” (Vorlage 0014/14 vom 9.9.2014)
Seit fast 10 Jahren wurden jedoch keine entsprechenden Maßnahmen umgesetzt und bis heute kein Radweg auf die vorgeschriebene Mindestbreite verbreitert. Es gibt in Hamm keinen Radverkehrsplan, der ausgehend von einer Datenerhebung der Radverkehrsströme systematisch ein sicheres, durchgängiges und komfortables Radverkehrsnetz umsetzt. Immer wieder finden sich unübersichtliche Radverkehrssituationen, Unsicherheiten, Gefahrenstellen und unklare Radverkehrsführungen. Viele dieser Mängel könnten durch Markierungslösungen behoben werden, es fehlt aber an der Bereitschaft dazu.
Fazit
Vom Anspruch, “Radfahren in Hamm die bessere Alternative für den Weg zur Arbeit, für den Schulweg und in der Freizeit” machen zu wollen, ist die Ampelkoalition noch sehr weit entfernt. Hierzu wären sowohl ein beschleunigter Ausbau der Radhauptrouten und größere Anstrengungen bei der Sanierung und Verbreiterung der vorhandenen Radwege vonnöten.
Wünschenswert wäre die Aufstellung eines Radverkehrsplans, dieser ist aber im Koalitionsvertrag nicht vorgesehen.